Fundstücke
Das ganze Heulen bringt nichts
Andreas Steinhöfel ist erfolgreicher deutscher Kinder- und Jugendbuchautor und mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien "Anders", und ein Film nach einem seiner Bücher ist jetzt im Kino: „Rico, Oskar und das Herzgebreche“. Der Autor lebt im hessischen Biedenkopf, seine Antworten sind wie Mutpillen für alle, die kämpfen.
Hat das Leben einen Sinn?
Der Sinn des Lebens ist, sich selbst weiterzugeben. Was das angeht, habe ich mit den Büchern meine Pflicht getan. Ich wollte immer eine Figur erschaffen, die ganz vielen Kindern aus der Seele spricht. „Rico“ ist der beste Wurf, der mir bisher geglückt ist. Ich dachte, das wird so ein Förderzentrumskinderbuch, aber ich kriege Lawinen von Post aus allen Schulformen, und jedes Mal steht da drin:
Endlich fühlt und denkt mal einer so wie ich. Rico darf Fehler machen, Rico tappst von einem Fettnapf in den nächsten und springt auch noch darin rum. Der muss nicht perfekt sein.
Kürzlich hatte ich eine Lesung, da habe ich den Schülern gesagt:
Lasst euch nicht sagen, eure Intelligenz oder euer menschliches Dasein sei in Noten messbar. Und die von euch, die jetzt mit ihren Fünfen und Sechsen im tiefen Tal der Tränen sind, glaubt mir: Ihr könnt von anderen als Verlierer klassifiziert werden, aber das Einzige, was ihr nicht machen dürft, ist, nicht mehr an euch selbst zu glauben.
Haben Sie eine Vorstellung von Gott?
Als Kind wurde ich oft von meinem Vater verprügelt. Lag ich abends in meinem Bett, habe ich mich gefragt, warum der liebe Gott nicht eingegriffen hat. Irgendwann habe ich einem Pfarrer davon erzählt, und der meinte bloß: „Der Herr wird schon seine Pläne mit dir haben. Das musst du halt durchstehen. Später im Paradies wird dir die Belohnung reichlich zuteil.“
Ich dachte: Spinnt der? Ist er jemals so geschlagen worden, dass er geblutet hat? Ich scheitere bis heute an der Frage: Warum sollte eine schöpferische Intelligenz auf die Idee kommen, so was Beklopptes wie uns Menschen auf diesen Planeten zu setzen? Wenn wir ein Abbild seiner sind, dann ist er nicht perfekt. Wenn er perfekt ist, dann weiß ich nicht, was er für einen Spaß daran haben sollte, uns beim Straucheln zuzugucken.
Allerdings bewundere und beneide ich Menschen, die einen festen Glauben haben, weil ich schon mehr als einmal mitbekommen habe, wie tröstlich das sein kann. Es gab auch in meinem Leben Momente, wo ich das Gefühl hatte, in großem Unglück eine Tröstung zu erfahren. Das war ein gutes und rettendes Gefühl – so intensiv, dass ich in meinem Unglauben tatsächlich ins Schwanken kam.
Muss man den Tod fürchten?
Ich fürchte den Tod anderer Menschen oder auch den eigenen: wegen des Schmerzes, der für die Hinterbliebenen entsteht. Aber der Tod als solcher? Entweder es kommt danach tatsächlich etwas, ich will das ja nicht ausschließen, und dann bin ich relativ sicher, dass es cool wird. Oder es kommt nichts, dann kriege ich es nicht mit.
Vor fünf Jahren ist mein Lebensgefährte plötzlich gestorben, das hat mich in eine heftige Krise geschleudert, zumal es bald darauf hieß, mein Bruder Dirk habe Lungenkrebs. Dirk ist meine zweite Hälfte. Er hatte etwas ganz anderes, aber die sechs Wochen, bis wir das wussten, waren die Hölle. Von dieser Zeit habe ich mich bis heute nicht wirklich erholt, es bleibt die Furcht, noch einmal geliebte Menschen zu verlieren. Denn die nehmen auch ein Stück der eigenen Seele mit. Wahnsinnig gemacht hat es mich, dass ich mit meinem Freund nicht im Reinen war. Es gab keine unausgesprochenen Dinge zwischen uns, aber er ist zu einem Zeitpunkt gestorben, als es mit der Beziehung schwierig war.
Ich habe inzwischen entschieden, dass das ganze Heulen nichts bringt, man trägt es halt mit sich. Es gibt keine Lösung, auch keine Erlösung. Es wird besser, aber wirklich von der Stelle komme ich nicht.
Welchen Traum möchten Sie sich noch unbedingt erfüllen?
Mit dem Postschiff ans Nordkap fahren. Nicht zu Fuß, das ist mir zu anstrengend. Ich will auf einem Schiff sitzen, auf Fjorde und Eisberge gucken und ein schönes Buch lesen. Und gar nichts machen müssen. Ich brauche total viel Ruhe.
Was hilft in der Krise?
Das graue Gefühl kenne ich gut. Rico beschreibt es so: „Eine Depression ist, wenn all deine Gefühle im Rollstuhl sitzen. Sie haben keine Arme mehr und es ist leider auch gerade niemand zum Schieben da. Womöglich sind auch noch die Reifen platt. Macht sehr müde.“
Lachen hilft. Wenn es mir nicht gut geht, stelle ich mir oft vor, ich würde das, was mich gerade umtreibt, in einem Spielfilm sehen, und das ist oft so irre, dass ich mich darüber schlapplachen würde.
So gewinne ich Distanz zu mir und kann über mich selbst lachen. Das hilft ganz, ganz oft.
Andreas Steinhöfel, 1962 geboren, schrieb „Rico, Oskar und die Tieferschatten“, „Die Mitte der Welt“, zuletzt erschien „Anders“. Andreas Steinhöfel erhielt den Erich-Kästner-Preis für Literatur und mehrere Male den Deutschen Jugendliteraturpreis, 2013 für sein Gesamtwerk.
Quelle: Chrismon Heft 5/2015, Seite 34. Die Fragen stellte Journalist Dirk von Nayhauß.