Fundstücke
Was macht Menschen glücklich?
Diesmal keine Studie über das Trauern,sondern über das geglückte Leben. Eine Langzeitbegleitung amerikanischer Harvard-Absolventen brachte nichts Revolutionäres an den Tag, bestätigt aber alle die, die wissen, dass Geld nicht glücklich macht. Sondern?
Was machen glückliche Menschen anders als andere? Die Grant-Studie versucht diese Frage zu beantworten. Ein Gespräch mit dem Leiter der Studie, das ich hier in Auszügen wiedergeben möchte.
SZ-Magazin:
Herr Vaillant, wissen Sie nach über 45 Jahren Forschung, was Glück ist?
George Vaillant:
Im poetischen Sinne ist Glück, in sein Ferienhaus zu kommen und die Wäsche sauber und ordentlich gefaltet vorzufinden. Und dabei von vier liebenden Kindern und sechs liebenden Enkeln umgeben zu sein.
Aber ein Ferienhaus muss man sich erst mal leisten können.
Das Ferienhaus meine ich im übertragenen Sinn. Reich zu sein ist kein Garant für Glück. Geld kann zweifellos Freude bereiten, doch an Reichtum gewöhnt man sich schnell. Dann wird er unbedeutend. Glück hat mehr mit Eleganz als mit Wohlstand zu tun. Eine gewisse Ordnung der Umgebung und der Umstände gehören zum Glück, und dazu Menschen, die man liebt und die einen lieben.
Können Sie die Definition von Glück prägnant in einem Satz formulieren?
Glück ist, nicht immer alles gleich und sofort zu wollen, sondern sogar weniger zu wollen. Das heißt, seine Impulse zu kontrollieren und seinen Trieben nicht gleich nachzugeben. Die wahre Glückseligkeit liegt dann in der echten und tiefen Bindung mit anderen Menschen.
Wer waren die Glücklichsten in Ihrer Studie?
Zwei gut ausgebildete Männer, die gelernt hatten, ihr Wissen als Lehrer erfolgreich weiterzuvermitteln. Sie hatten glückliche Familien und Ehen, die sechzig Jahre lang gehalten hatten.
Und die Unglücklichsten?
Unglück gab es in vielen unterschiedlichen Varianten. Diejenigen, die zu trinken begannen, an einer Depression oder an schlimmeren Psychosen erkrankten, waren die Unglücklichsten. Aber es gab daneben drei Rezepte für garantiertes Unglück: den Tod eines Kindes, den Tod eines Ehepartners und die Wahl des falschen Ehepartners.
(...)
Kein Leben verläuft ohne Schicksalsschläge. Wie geht man damit am besten um?
Stoizismus, Altruismus, Humor, partielle Verdrängung, gepaart mit Realitätssinn und der Fähigkeit, aus der Erfahrung für die Zukunft zu lernen. Dagegen stehen Fantasie, Projektion, Ablehnung von Hilfe und passiv-aggressives Verhalten. Das halte ich für eher schädlich.
Was meinen Sie mit Fantasie?
Andere Menschen nicht so zu sehen, wie sie sind, sondern so, wie man sie haben will.
(...)
Empfehlen Sie Psychoanalyse für die Glückssuche?
Ich glaube an Psychotherapie, und ich glaube an Gott. Psychoanalyse aber ist für Psychiater und nicht für Patienten. Während meines Medizinstudiums habe ich viel von den Leichen gelernt. Später habe ich viel von meinen Patienten gelernt, das war praktisch das Gleiche.
(...)
Ihre Studie galt nur Männern, und gerade die sind bekanntlich anfällig für die Midlife-Crisis.
Diejenigen, die unter einer Midlife-Crisis leiden, sind die gleichen, die auch als Heranwachsende Schwierigkeiten hatten: derjenige, der als Jugendlicher ein guter Sportler war, dann plötzlich fett wird und die Welt nicht mehr versteht. Die Frau, die magersüchtig wird, weil sie für immer eine Zehnjährige bleiben will und nicht merkt, dass der neue Körper neue Herausforderungen, aber auch neue Möglichkeiten birgt.
Die meisten Menschen empfinden Altern kaum als Vergnügen.
Der Tod ist die große Unbekannte, die wir alle fürchten. Als ich fünfzig war, empfand ich das Altern als Verfall und Hässlichkeit. Die meisten Menschen schließen aber zum Ende hin ihren Frieden damit. Sie erkennen, dass man die Zeit nicht anhalten kann, ohne zu fossilisieren. Denjenigen der Studie, die nicht an Alzheimer, Alkohol oder Depressionen litten oder leiden, scheint das zu gelingen. Aber kommen wir zum Guten: Das Wunderbare am Gehirn ist, dass es ab zwanzig mit dem Körper bergab geht, das Gehirn jedoch besser wird. Mit fünfzig kann ein Schriftsteller Dinge schreiben, die er als Zwanzigjähriger niemals hätte schreiben können.
Wie kommt das?
Das Gehirn isoliert sich mit der Zeit besser gegen ablenkende Reize. Dadurch kann es reifen.
(...)
Vaillant:
Der Schriftsteller Leo Tolstoi meinte, glücklich sei der Mann, der sein Leben lang für jemanden arbeiten darf, den er liebt.
Also hat Tolstoi für seine Frau Sonja geschrieben, mit der er 13 Kinder hatte? Wenn man seiner Frau ein Freund sein will, sollte man keine 13 Kinder zeugen. Tolstoi hat seine Frau missbraucht.
Sind Kinder denn nicht wichtig für das Glück?
Aber ja. Ein echter Partner, eine funktionierende Ehe, Kinder. Aber nicht 13 Kinder. Es gilt laut der Studie das Mittelmaß: Zwei bis drei Kinder scheinen die beste Lösung zu sein.
Wie wichtig ist die Libido für unser Glück?
Sigmund Freud sagte, dass die Libido das Wichtigste sei. Ich sage: Am wichtigsten ist, nicht autistisch zu sein, sondern in der Lage, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und sich einfühlsam zu zeigen.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der alles sofort passieren soll, auch Kontakte. Macht uns dieser Anspruch, der vor allem durch das Internet befördert wird, auch glücklich?
Das Internet verändert unser Gehirn. Den Preis werden wir erst in ein paar Jahren kennen. Meine Tochter verschwindet regelmäßig hinter ihrem iPad-Vorhang. Das ist eine neue Art des Autismus. Die sogenannten sozialen Netzwerke haben mit wirklichen sozialen Kontakten nichts zu tun.
(...)
Unterscheidet sich denn das Glück der Frauen von dem der Männer?
Frauen sind von Natur aus bessere Geber. Geben und Schenken macht nun mal zufriedener als Nehmen. Frauen sind außerdem reif genug, um mit den Veränderungen im Erwachsenenleben besser umzugehen. Sie sind auf Veränderung programmiert. Männer bleiben Kleinkinder.
(...)
Wenn Sie die Grant-Studie neu starten würden, was würden Sie anders machen?
Ich würde Frauen mit aufnehmen. Damals wurden nur Männer ausgewählt, weil Frauen in Harvard noch nicht zugelassen waren. Außerdem wurde zu Beginn Homosexualität unter Abnormitäten geführt. Und natürlich würde ich eugenische Fragestellungen herausnehmen, also alle Fragen zur Rassenhygiene. (...)
AUF DER SUCHE NACH DEM GUTEN LEBEN
Der 78-jährige Psychiater und Harvard-Professor George E. Vaillant übernahm die Grant-Studie im Jahr 1967. Benannt ist sie nach dem Kaufhaus-Millionär W. T. Grant. Der finanzierte das Projekt in den Anfangsjahren, weil er fand, dass die Medizin zu viel Aufmerksamkeit auf das Studium der Krankheiten verwende und stattdessen lieber von den Gesunden lernen sollte.
Das ganze Interview lesen Sie im Süddeutschen Magazin Nr. 13 vom 28. März 2013, Seite 32 bis 38.