Fundstücke
Ein gutes Ende?
Wenn wir uns im Leben um unser Sterben kümmern, dann schaffen wir unsere größte Aufgabe vielleicht besser – das ist der Tenor in der „Spiegel“-Titelgeschichte. Wir müssen nur darüber reden.
Hier ein paar Absätze aus der lesenswerte Reportage:
„Jedes Jahr legen Ärzte in Deutschland 140.000 PEG-Sonden, viele Demenzpatienten werden auf diese Weise künstlich ernährt. Ebenso ist es gängige Praxis, Sterbenden künstlich Flüssigkeit zuzuführen.
„Beides ist in der Regel nicht notwendig“, erklärt der Palliativmediziner Borasio, „und sogar schädlich.“ Alle Studien dazu zeigten, dass es den Dementen dadurch bessergehe. Im Gegenteil: Die Sonde begünstigt Infektionen.
Keinen Hunger und keinen Durst mehr zu verspüren gehört dazu, wenn der Körper sich nach und nach herunterfährt, wenn’s aufs Ende zugeht. Nur der Mund muss befeuchtet werden, dazu genügen ein Schwämmchen und ein paar Tropfen; ansonsten geht es den Sterbenden sogar schlechter, wenn man ihnen Flüssiges in die Venen schleust.
Es kommt nicht selten vor, berichtet Borasio, dass Schwerkranke bewusst auf Wasser und Nahrung verzichten, wie Michael Bacher im Maria-Stadler-Haus, um schneller zu sterben. Und es funktioniert: Die Mehrheit dieser Männer und Frauen scheiden innerhalb von 15 Tagen dahin, sie sterben einen friedlichen Tod.
Borasio möchte, dass mehr Ärzte und Pfleger solche Patientenentscheidungen respektieren. Sein Konzept dafür heißt: „liebevolles Unterlassen“.
Wer, wie Christopf Schlingensief, nicht „mit drei Schläuchen im Arsch in so ’ner Klinik krepieren“ will, wer sicherstellen möchte, dass sein Leben nicht auf der letzten Etappe qualvoll verlängert wird, der muss sich einen Sterbeort suchen, an dem palliativ gearbeitet wird.
Palliativbehandlung, denken viele, sei bloß eine Methode, um Schmerzen zu lindern. Doch Palliativversorgung kümmert sich nicht nur um die körperlichen Beschwerden der Patienten, sondern um alles, was Wohlbefinden ausmacht, was es braucht für ein friedliches Ende.
Dazu gehört auch, die Furcht vor dem Sterben zu nehmen, zu trösten, Sorgen – was passiert mit meinen Kindern, wenn ich nicht mehr bin? – zu besprechen. Um einem unheilvoll Kranken ein gutes Ende zu bereiten, braucht es nicht nur Ärzte, sondern Pfleger, Krankenschwestern, Sozialarbeiter, Psychologen, Seelsorger. Deswegen bedeutet Palliativversorgung auch das Ende der Allmacht des Arztes. Und es schränkt die Herrschaft der Pharmakonzeren ein, die einen großen Teil ihres Umsatzes mit Medikamenten für Patienten im letzten Lebensjahr machen. Palliativmedizin ist eine Rebellion gegen das medizinische Establishment.“
Mehr dazu in den nächsten Tagen. Den gesamten Artikel können Sie lesen im „Spiegel“, Heft Nr. 22/2012 auf den Seiten 110 bis 120.
Er ist verfasst von Rafaela von Bredow, Annette Bruhns, Manfred Dworschak, Laura Höflinger, Anna Kistner, Conny Neumann.