Trauergruppe

Fundstücke

Ich wünschte, ich hätte mehr Mut gehabt

 

Nach ihrer ehrenamtlichen Begleitung von Sterbenden schrieb Bronnie Ware ein Buch über die Gespräche mit den Menschen, ihre Einsichten und Lebens-Schlüsse. Es heißt „Top Five Regrets of the Dying“, wurde ein Bestseller und wird seitdem mit großer Resonanz in ihrem Blog diskutiert.

 

In einer neuen „Stern“-Publikation namens „Viva“ wurde Bronnie Ware interviewt. Einige der Passagen möchte ich hier wiedergeben:

 

„Bedauern Nr. 1“ nennen Sie: „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben.“ Was hält uns davon ab?

 

Bronnie Ware:
Wir kümmern uns zu sehr darum, was andere Leute von uns denken. In den letzten Wochen sind uns deren Ansichten völlig egal, da geht es nur noch ums eigene Leben. Vielen wird dann klar, welche Energien sie damit verschwendet haben, Erwartungen zu erfüllen, die mit ihnen gar nichts zu tun haben.

 

Müssten wir egoistischer werden?

 

Ware:
Nein, gar nicht. Sich um andere zu kümmern ist wunderbar, aber nicht, sich zu sehr beeinflussen zu lassen. Ich zum Beispiel habe über zehn Jahre in Banken gearbeitet, was überhaupt nicht zu mir passte – nur weil andere das von mir erwarteten.

 

Was macht es so schwer, etwas zu verändern?

 

Ware:
Vor allem Angst. Die angst, nicht genug Geld zu haben, oder die Angst zu versagen, die Angst vor Risiko. Eine vertraute, aber unglückliche Situation scheint sicherer. Und wir stehen uns selbst im Weg: Statt einen ersten Schritt in eine neue Richtung zu wagen, versuchen wir alle Konsequenzen des Marathons im Voraus zu bedenken, was unmöglich ist und einen blockiert. Dabei reicht oft eine kleine Veränderung, dann zeigt sich die nächste Abbiegung von selbst.

 

(…)

Haben Sie Bedauern Nr. 2: „Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet“ bei Ihren Zwölf-Stunden-Schichten als Pflegerin nicht ständig selbst missachtet?

 

Absolut, für mich gab es nur alles oder nichts. Die Tage und Nächte bei den Sterbenden waren Arbeit – und mein Leben. Nur kümmerte ich mich so gut um andere, dass für mich nichts übrig blieb. Es hat lange gedauert, bis ich die richtige Balance gefunden habe und mir so viel Liebe wie anderen gönnte.

 

(…)
War es nicht schrecklich, ständig Menschen zu verlieren, die fast Freunde wurden?

 

Ja und nein, gerade Freunden, die sich quälen, wünscht man am Ende, dass sie gehen können. Sie leiden und sind das Leben leid. Zuletzt ist es eine Erlösung, für sie wie für mich.

 

Freunde aus den Augen verloren zu haben war Bedauern Nr. 4. Einigen Patienten mussten Sie versprechen, es besser als sie zu machen. Hat das geklappt?

 

Ja, als ich es Harry versprochen hatte, habe ich eine Freundin regelmäßiger getroffen. Wir halten Freunde für selbstverständlich und vernachlässigen sie. Aber in wichtigen Momenten wie Tod oder Geburt hätten wir sie gern in der Nähe. Denn Freund akzeptieren uns, wie wir heute sind, das fällt der Familie oft schwer.

 

(...)


B. Ware:
„Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein“ – ich nenne das im Buch Bedauern Nr. 5 -, das haben am Ende viele meiner Patienten geagt. Oft begleitet von ungläubigem Kopfschütteln über sich selbst. Natürlich sind wir nicht jeden Tag 100 Prozent glücklich. Aber auch in schwierigen Phasen gibt es Momente,  in denen wir uns freuen können, manchmal über eine Kleinigkeit. Dazu müssen wir uns aber bewusst entscheiden, es uns erlauben. Außerdem ist es generell leichter zu bemängeln, was in unserem Leben gerade schiefläuft. Haben wir zu viel Spaß oder Glück, macht das andere skeptisch. Wer zu gut drauf ist, meint manchmal fast schon, sich dafür entschuldigen zu müssen.

 

An vielen Betten wurde auch gelacht.

 

B. Ware:

Oh ja, Sterbende sehnen sich nach Freude und Lebendigkeit. Es hat keinen Sinn, dass wir uns ihnen gegenüber schuldig fühlen, weil wir weiterleben. Oder nicht sagen mögen, wenn wir einen tollen Tag hatten. Krank und leidend sind sie selbst, Spaß müssen Besucher bringen. Kranke sind oft gierig nach Alltag und Geschichten.

 

 

Das vollständige Interview von Julica Jungehülsing können Sie nachlesen in „Viva“ Nr. 1 Sommer 2012 auf den Seiten 52 bis 55.

 

Bronnie Wares Blog:

http://www.inspirationandchai.com

 

Ihre Website:

http://bronnieware.com/

 

Ihr Buch erscheint 2012 auch auf Deutsch im Goldmann Verlag.