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Fundstücke

Nicht weiter als bis zum Tee - oder: Glück ist ganz schön wichtig

 

Der Schriftsteller Alan Bennett erkrankte an Krebs. Er lernte, dass es besser ist, in kurzen Zeitabschnitten zu denken. 

 

Im ersten Teil des Interviews, das Louis Lewitan mit ihm für das ZeitMagazin führte, erzählte Alan Bennett, dass ihm ein Teil des Darms entfernt wurde, er eine sechsmonatige Chemotherapie ertrug, aber nie unter Schmerzen litt.

 

 

ZEITmagazin: Die Menschen kämpfen in der Regel dagegen an. Hatten Sie eine Bewältigungsstrategie?

 

Bennett: Nein, ich halte nichts von dem ganzen Zeug. Ich habe auch nicht bewusst gegen die Krankheit gekämpft. Es ist mir passiert, und ich habe es überlebt.

Ich wollte damals über mich und mein Leben weiterschreiben. Und alle drei Monate bin ich zur Untersuchung gegangen.

Es ist vielleicht nicht ideal, sein Leben so zu gestalten, aber in kurzen Zeitabschnitten zu denken und nicht langfristig zu planen ist ein Rezept zum Glücklichsein.

 

Sydney Smith, der englische Prediger und Philosoph aus dem 18. Jahrhundert, meinte, man solle im Leben immer nur in kurzen Zeitzyklen denken, nicht weiter als bis zum Abendessen oder zum Tee.

 

Wenn du Krebs hast, ist die Langzeitperspektive sehr deprimierend. Wenn du dich aber gut fühlst und du es bis zur nächsten Untersuchung schaffst, dann hast du wieder einen neuen Pachtvertrag für das Leben, und so machst du weiter. Mein Partner und ich haben in dieser Zeit alle möglichen Dinge angestellt. Uns ging es damals sehr gut.

 

 

ZEITmagazin: Glauben Sie, dass Sie Glück hatten?

 

Bennett: Ich hatte sehr viel Glück, denn statistisch gesehen hätte ich nicht überleben dürfen. Der Chirurg sagte mir damals, ich hätte eine Überlebenschance von fünfzig zu fünfzig. Nachdem ich weitere fünf Jahre überlebt hatte, offenbarte er mir, dass es eigentlich nur eine Chance von eins zu fünf war. Also war es doch sehr knapp.

 

Leute sagen zu mir, ich hätte aufgrund meines Naturells überlebt. Ich glaube nicht, dass das etwas damit zu tun hat. Ich hatte einfach nur sehr viel Glück.

Die Menschen messen dem Glück nicht genügend Bedeutung bei. Als ich die Diagnose bekam, waren mein Partner und ich fünf Jahre zusammen, aber wir hatten noch nie zusammengewohnt. Ich dachte damals, ich könnte nicht arbeiten, wenn jemand im Haus ist.

 

Dann zog mein Partner zu mir und kümmerte sich um mich. Wir stellten fest, dass wir durchaus zusammenleben können und glücklich miteinander sind. Das war eine großartige Sache. Zu dem Zeitpunkt überlegten wir, gemeinsam in ein neues Haus zu ziehen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich damals dachte: Na, vielleicht lebe ich gar nicht mehr so lange, bis das geklappt hat. Es hat dann gedauert, bis wir mit viel Glück das richtige Haus fanden. Ich glaube, Glück ist ganz schön wichtig.

 

ALAN BENNETT wurde 1934 in Leeds geboren. In den sechziger Jahren studierte er Geschichte in Oxford, wo er auch Professor war. Er schrieb Theaterstücke und Drehbücher.

Nach seiner Krebsdiagnose veröffentlichte Bennett 2005 das autobiografische Werk "Untold Stories".

Am 9. Mai 2014 ist er 80 Jahre alt geworden. Bennett lebt in London.

 

 

Das Gespräch führte der Psychologe Louis Lewitan. Es erschien im ZeitMagazin vom 8. Mai 2014 auf Seite 46 und ist dort in voller Länge zu lesen.