Fundstücke
Abschied und Trauer nach Tod durch Katastrophen
Der Absturz der Germanwings-Maschine, höchstwahrscheinlich durch bewusstes Handeln des Copiloten verursacht, hat die Zugehörigen der 149 Opfer - und die Familie des Copiloten - in große Trauer versetzt. Sie versuchen, das Unfassbare zu begreifen, indem sie unter anderem den Unglücksort aufsuchen und der Verstorbenen dort gedenken.
Aus diesem Anlass veröffentlichte die "Evangelische Zeitung" ein Gespräch mit mir, erschienen am 1. April 2015:
1. April 2015 | Der Flugzeug-Absturz in den französischen Alpen berührt auch Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind. Das sei wichtig für die Angehörigen, sagt die Hamburger Trauerbegleiterin Ute Arndt. Im Interview erläutert sie, warum es für die Trauernden entscheidend ist, die Ursache für das Unglück zu erfahren.
Spielt es für die Angehörigen nach einem Unglück wie dem der Germanwings-Maschine überhaupt eine Rolle, ob fremde Menschen ihre Anteilnahme ausdrücken?
Ute Arndt: Unbedingt. Den Trauernden hilft sehr, zu sehen, wie andere mitfühlen und sie unterstützen. Das ist sehr wichtig, gerade im ersten Moment. Auch wenn es unbekannte Menschen sind, die die Betroffenen gar nicht kannten.
Und warum äußern sich so viele Menschen, die gar nicht betroffen sind?
Das Posten in sozialen Netzwerken ist auch eine Art, Solidarität mit zu bekunden. Damit drücken Menschen ja ihr Mitgefühl aus, es sind Rituale. Sie finden darin eine Möglichkeit, ihrem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. Wir brauchen in unserer Gesellschaft diese Rituale.
Ist die Trauer nach einem Unglück anders als etwa, wenn ein Mensch nach einer Krankheit stirbt?
Ja, die Trauer ist erschwerter. Naturkatastrophen, Unfälle oder wie in diesem Fall ein Amok-Suizid, erschweren die Trauer, weil der Verlust plötzlich und brutal erfolgt.
Spielt es für die Angehörigen eine Rolle, woran der Mensch gestorben ist oder was die Ursache für ein Unglück war?
Nach Katastrophen ist es ganz wichtig für die Angehörigen, den Grund zu erfahren. Trauernde sind sehr darauf bedacht, herauszubekommen, warum jemand sterben musste. Nur dann haben die Freunde und Verwandten die Chance, Abschied zu nehmen und überhaupt den Verlust als Realität zu begreifen. Wobei es sehr lange dauert, den Verlust tatsächlich im Herzen zu verstehen und zu akzeptieren.
Trauert jeder Mensch anders?
So individuell wie der Mensch ist, so individuell ist auch die Trauer. Aber Trauern verändert sich auch im Laufe des Lebens. Der Verlust von geliebten Menschen verwandelt unser Leben und verändert unseren Lebenssinn. Und so werden wir bei einem erneuten Verlust durch die alten Erfahrungen anders damit umgehen.
Wie helfen Sie den Menschen, die zu Ihnen kommen?
Trauerbegleiter können helfen, indem sie da sind. Das erste Ziel ist, dass ich zeige: Ich lasse dich nicht alleine. Ich zeige dem Trauernden, dass er Raum hat und ein Gegenüber. Es geht darum, den Gefühlen Ausdruck zu verleihen, sie ernst zu nehmen und sich Emotionen zu erlauben. Besonders die ‚negativen‘ Gefühle – wie etwa Wut oder Aggressionen gegenüber dem Verstorbenen. All das soll unbedingt ausgedrückt werden, denn erst dann verändern sich auch diese Gefühle. Dann erst verändert sich Trauer.
Wie gehen Sie konkret vor?
Es finden erst mal Gespräche statt, und ich gebe dem Trauernden viel Raum für Gefühle, Zweifel, Ängste, Sorgen, die da sind. Die können dann nach und nach bearbeitet werden.
Der Umgang mit Trauernden fällt vielen schwer. Was raten Sie Menschen, die Kontakt zu einem Trauernden haben?
Sagen Sie, was Sie fühlen. Wenn Ihnen die Worte dafür fehlen, sagen Sie das. Das Beste ist, Sie sind da. Im Grunde genommen sind die konkreten Worte egal, wenn Sie ausdrücken können, dass Sie mitfühlen.
Menschen trauern nicht nur beim Tod eines Menschen.
Nein, Menschen trauern auch bei wertvollen Lebensgütern, etwa um Freunde oder um unsere Gesundheit. Ein Mensch kann um seine Heimat trauern, um Arbeitsverlust oder um seine Jugend. Oft geben wir diesen Prozessen gar nicht genug Raum und Bedeutung. Es ist eine meiner Aufgaben, den Menschen den Raum zum Trauern zu geben, denn das ist sehr wichtig. Nach der Wiedervereinigung gab es beispielsweise viele Trauerprozesse, denen kein Raum gegeben wurde. Und auch Menschen auf der Flucht, die nicht wissen, wo sie hingehören, machen häufig Trauerprozesse durch.
Sind nach einem Unglück Rituale wie ein Trauergottesdienst oder eine Beerdigung besonders wichtig?
Es ist tatsächlich wichtig, den Verstorbenen zu sehen. Den Tod zu be-greifen – im Sinne von Anfassen können. Deshalb hatten die Angehörigen der Toten aus der Germanwings-Maschine auch das Bedürfnis, sofort an die Unglücksstelle zu reisen. Es ist oft wichtiger, es überhaupt zu tun, als zu glauben, es ginge nur darum, Abschied zu nehmen von einem vollkommen heilen Körper. Es hilft, den Toten zu sehen, bewusst Abschied zu nehmen.
Das Interview führten Julia Fischer & Katharina Hagen
Datum 1. 4. 2015
Quelle Evangelische Zeitung