Trauergruppe

Fundstücke

"Mit dem Wort Glück hab ich wenig am Hut"

 

Die Schauspielerin Erika Pluhar im Gespräch mit der "Süddeutschen" über Abschiede und das Weiterleben

 

Erika Pluhar spielte 40 Jahre lang Theater und machte anschließend Karriere als Chansonsängerin und Romanautorin. Ihr Ex-Ehemann bekam lebenslänglich wegen sechsfachen Mordes, ihre einzige Tochter starb als junge Frau, ihre dritte Liebe setzte seinem Leben ein Ende. Im Gespräch mit Sven Michaelsen für die "Süddeutsche" beschreibt sie, wie ihr ein Weiterleben gelingt, ohne sich zu verlieren.

Ich zitiere hier nur Auszüge, das vollständige Interview lesen Sie im Magazin der Süddeutschen Mr. 41 vom 14. Oktober 2011.

 

Ihre Tochter starb am 4. Oktober 1999 mit 37 Jahren nach einem Asthmaanfall an akutem Herzversagen. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Erika Pluhar:

Ich war vormittags ins Tonstudio Toegel gefahren, um meine CD "I gib net auf" aufzunehmen. Als wir das vierte Lied einspielten - es hieß "Die unerfüllbaren Wünsche" -, wurden wir unterbrochen. Dann hieß es: Anna ist tot.

 

Wie hat der Vater (Uwe Proksch) reagiert?

Er ist ganz schnell auch gestorben. Ihr Tod hat ihm seine Überlebenskraft geraubt. Als er am Herz operiert wurde, ist er aus der Narkose nicht wieder aufgewacht. Ich sage immer: Das Herz ist ihm dann halt gebrochen.

 

Sie haben in vier Jahren Vater, Mutter, Tochter und Kindsvater verloren. Wie überlebt man das?

Der Grund, selber am Leben zu bleiben, war der Ignaz (Adoptivsohn der Tochter). Dieses 15-jährige Kind hatte keine Familie. der hatte nur die Oma. Obwohl ich vor dem Gesetz seine Mutter bin, sagt er zu mir Oma. Das war eine unglaubliche Pflicht. Und ich hatte den Vorzug, dass ich mitten in einer CD-Produktion steckte. Die Aufnahmen habe ich zu Ende geführt. Und ich war mitten im Schreiben eines Romans, der schon vor Annas Tod den Titel hatte: "Verzeihen Sie, ist das hier schon die Endstation?" In diesem Buch habe ich ihren Tod in veränderter Form nacherzählt.

 

Singen und Schreiben als Therapie: Funktioniert das wirklich?

Ich war wie in einem Glassarg, aber am Schreibtisch und im Studio konnte ich meine Trauer durchwandern und verwandeln. Ansonsten tat ich, was der Tag von mir verlangte, und sagte keine Termine ab. Ich war in diesen Wochen grauenvoll gesund. Rundum tobte eine Grippewelle, ich blieb tödlich gesund. Ich war ein bisschen tot. Wenn man sich dann nicht die Kugel gibt, greift irgendwann das Leben: Man geht jeden Morgen ins Badezimmer, plötzlich merkt man, dass einem was schmeckt, plötzlich hört man sich sogar lachen. Während man noch hinterhersterben möchte, lebt man bereits wieder.

 

Träumen Sie von Anna?

Gar nicht so oft. Sie ist eher eine Realität für mich. Ich habe sie ganz vor mir. Wie sie lacht, wie sie schaut, wie ihre Hände sind. Ich rede mit der Anna, und in meinem Tagebuch bespreche ich vieles mit ihr. Ich führe seit 50 Jahren mit einem Federhalter Tagebuch und bin jetzt bei Band 106. Dieser tägliche zweistündige Dialog mit mir selbst hat mir nach Annas tod sehr geholfen. "Niederschreiben" heißt ja auch: den Schmerz nehmen und ihn niederschreiben.

 

Wie stark war Ihr Selbstmitleid?

Im Schmerz ist für Sentimentalität kein Platz. Nur Wehwehchen machen sentimental. Beim Äußersten an Leid hören die Schnörkel auf. Wenn man nicht seelisch krepieren will, muss man in die tiefste Tiefe des Schmerzes hinabtauchen und sich irgendwann mit beiden Beinen vom Grund abstoßen.

 

Sie haben mit Anna und Ignaz unter einem Dach gelebt. Das Innrer Ihrer von wildem Wein überwucherten Villa im Wiener Bezirk Grinzing wirkt heute wie das Bühnenbild einer Tschechow-Inszenierung. haben Sie mal überlegt auszuziehen?

Nein, um Gottes willen, dieses Haus enthält alles, was ich an Freude und Schmerz erlebt habe. Eine andere Umgebung würde meinen Schmerz unerträglich machen. Ich möchte hier auch sterben. Dieses "Zieh odch woanders hin" finde ich einen blöden Ratschlag. Verluste zu vergessen, um weiterleben zu können, ist grober Unfug mit sich selbst. Es führt dazu, dass man die tiefste Trauer nie ablegen kann. Ich will die Anna doch vor mir haben - auch wenn es schmerzt.

 

(...)

Nach Vogels Suizid (der Schauspieler Peter Vogel war ihre dritte und letzte große Liebe, er war suchtkrank) ist Ihr Privatleben aus der Balkenpressen verschwunden.

Sein Tod hat mein Leben sehr, sehr verändert. Als er 1978 mit 42 starb, war ich 40. Ich habe dann nie mehr Tisch und Bett geteilt mit einem Mann. Es gab Beziehungen, aber keine eheähnlichen intimen Gemeinsamkeiten. Ich brauche Abstand. Die dauernde Nähe eines anderen Menschen würde mich krampfig machen und nach Luft schnappen lassen.

 

Allein zu sein und schweigen zu können sind schwindende Fähigkeiten.

Als kleines Kind habe ich mich in Brombeerhecken verkrochen und war glücklich, dass ich da so allein war. Dieser große Sinn fürs Einsamsein hat mich schon immer bewohnt. Meine wahre Lebenskonzentration finde ich im Rückzug.

 

(...)

Die alte Marlene Dietrich verhüllte in ihrem Pariser Apartment die Spiegel. Was empfinden Sie heute beim Blick in den Spiegel?

 Natürlich nehme ich das Welkwerden wahr, und es braucht ein bissel, bis mein inneres Empfinden sich in der alt gewordenen Frau wiedererkennt, die mich im Spiegel anschaut. Aber Schönheitsoperationen machen alles nur schlimmer. Sich das Alter mit dem Skalpell entfernen zu lassen ist eine Entwürdigung des Älterwerdens. Wer gegen das Altern ankämpft, altert bloß, ohne zu reifen. Ich habe bei Menschen nie nach Schönheit Ausschau gehalten. Etwas Kühnes tun oder ein bissel Leben hinter sich bringen: Dann kann aus einem Gesicht was werden. Vielleicht ist es auch gescheiter, sich nicht makellos zu fühlen. Solche Menschen tendieren zur Oberflächigkeit.

(...)

Gibt es Tage, an denen Sie nicht an den Tod denken?

Ich glaube, nein. Am gefährlichsten sind die ersten 30 Minuten am Morgen, weil man mit dem Gefühl aufwacht: Was willst du diesem Leben noch abgewinnen? Deine Liebsten sind gegangen, und die Zukunft ist nicht mehr da. Nichts mehr nötigt dich zu bleiben. Du gehörst nur noch dem Warten auf den Tod. In diesen Momenten muss ich wirklich um meine Lebenskraft kämpfen.

 

Haben Sie Frieden mit sich geschlossen?

Eine gewisse Schrulle bin ich schon, aber ich habe mich recht gern gewonnen. Ich finde mich oft blöd, ja, aber mit aller Zuneigung.

 

 

Quelle: Magazin der "Süddeutschen Zeitung" Nr. 41 vom 14. Oktober 2011 Seite 20 bis 28.