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Psychologischer Ratgeber in Corona-Zeiten

 
Wie Sie die häusliche Situation und Quarantäne gut überstehen:
Diese respektvolle und praxisorientierte Hilfe wurde veröffentlicht Frank Jacobi, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Psychologischen Hochschule Berlin.
 
Sie finden das Original-Dokument mit vollständigen Quellenangaben unter: Umgang mit Isolaton und Quarantäne während der Corona-Pandemie.

Wie Sie häusliche Isolation und Quarantäne gut u?berstehen
Psychologische Hilfen in herausfordernden Zeiten

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Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 und die dadurch verursachte Krankheit mit offiziellem Namen Covid-19 veranlassen weltweit drastische Maßnahmen, die die massenhafte Ausbreitung verhindern sollen. Wenn keine bevölkerungsweite Verhaltensänderung eintritt, „(…) besteht die Gefahr, dass wir in zwei bis drei Monaten bis zu 10 Millionen Infizierte haben, mit entsprechender Überlastung des Gesundheitssystems“1. Dieser Prozess lässt sich allerdings bremsen. Neben den bekannten Hygieneregeln spielt insbesondere das Einhalten zwischenmenschlicher Distanz dabei eine entscheidende Rolle.

Häusliche Isolation und Quarantäne sind Ausnahmesituationen, welche die meisten Menschen noch nicht erlebt haben. Diese gesetzten Maßnahmen können auf die Psyche einwirken und fu?r Betroffene sehr belastend sein. Die wichtigsten Stressoren hierbei sind – besonders wenn die Quarantänemaßnahmen länger andauern – Ansteckungsängste, Frustration und Langeweile, Einschränkung der materiellen Versorgung, Fehlinformation, finanzielle Nöte und Stigmatisierung von Betroffenen.

Es gibt allerdings klare, in der Psychologie wissenschaftlich erforschte und bewährte Verhaltensmaßnahmen und mentale Strategien, die es ermöglichen, diese Ausnahmesituation zu meistern.
Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch ist anders und sollte die individuell zur Person und zur Lage passenden Strategien suchen, ausprobieren und umsetzen. In außergewöhnlichen Zeiten kann es zu neuen Belastungen und ungewohnten Emotionen kommen. Es braucht Zeit, sich an diese neuen Umstände und Herausforderungen – einschließlich von Langeweile – zu gewöhnen.

Die folgenden Checklisten enthalten fu?r Sie möglicherweise nicht wirklich neue Erkenntnisse, können aber dennoch Unterstu?tzung bieten, „ku?hlen Kopf zu bewahren“ und fu?r sich und Ihre Nächsten die besten Strategien zu entwickeln, mit der neuartigen Situation umzugehen und den eigenen Beitrag zu leisten, dass wir persönlich und als Gesellschaft gemeinsam und solidarisch die anstehenden Herausforderungen bewältigen.


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Allgemeine hilfreiche Maßnahmen
  • Denken wir stets daran, dass wir einen Dienst an der Gemeinschaft tun, wenn wir uns an die Quarantäneempfehlungen und die Richtlinien zur Reduzierung direkter sozialer Kontakte halten!

    Quarantäne und Abstandhalten helfen anderen – insbesondere schwachen, älteren oder körperlich angegriffenen Mitmenschen. Diese Maßnahmen sind daher in großem Maße sinnvoll, und zwar nicht nur fu?r die anderen: diejenigen, die etwas fu?r die Gemeinschaft tun, haben weniger Angst. Auch Großzu?gigkeit gegenu?ber anderen, denen es aktuell schlechter gehen mag als einem selbst, kann die eigene Gefu?hlslage verbessern und stabilisieren.
    Allein die Sinngebung ist bereits wichtig. Wir zeigen große kollektive soziale Verantwortung durch dieses altruistische Handeln. Wenn uns dies klar ist, fällt es uns leichter, akzeptierend und respektvoll auch mit eigenen Spannungen umzugehen.
  • Halten Sie eine Tagesstruktur ein!

    Struktur hilft gegen Chaos, gibt Sicherheit und stärkt in Stresssituationen. Vorhersehbarkeit und Selbstwirksamkeit werden dadurch gefördert, und Zustände von Hilflosigkeit werden reduziert. Das bedeutet konkret: nicht im Pyjama bleiben, sondern wie immer aufstehen, sich anziehen, u?bliche Essens-, Schlafens-, Arbeits- oder Lernzeiten (und auch Feierabendzeiten) einhalten. Passen Sie Ihre Tagesstruktur an die aktuelle Situation an.

    Setzen Sie sich realistische Ziele und planen Sie Ihren Tag möglichst genau und verbindlich! Aufgaben-Verwaltungs-Tools können hilfreich sein, insbesondere wenn man nun arbeitsbezogen mehr auf sich allein gestellt ist. Erstellen Sie nicht nur „to-do“-Listen, sondern auch „done“-Listen und erzählen Sie anderen von Ihrer Zielerreichung!
    Durch geplantes Handeln hat man das Gefu?hl, einer Situation nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern diese aktiv zu gestalten. Sie könnten zum Beispiel „Projekte“ starten, die Sie bisher aufgeschoben haben – vielleicht sind das auch „kleine Dinge“ wie Tagebuch schreiben, neue Fertigkeiten lernen, aufräumen, oder Arbeiten erledigen, die sonst immer liegen geblieben sind. Planen Sie ein Highlight pro Tag, auf das Sie sich freuen können!

    Sollte es Ihnen nicht immer gelingen, Ihre Tagesstruktur einzuhalten, ist das allerdings verständlich. Vielleicht gelingt es Ihnen ja, diesbezu?glich nachsichtig mit sich umzugehen.

  • Konsumieren Sie Medien bewusst und gezielt!

    Wir wissen aus Erfahrung von Menschen, die Katastrophen und Tragödien erlebt haben, dass ein Übermaß an Beschäftigung mit diesen Geschehnissen in Nachrichten und Meldungen aller Art negative emotionale Folgen haben und die negativen Effekte noch weiter verstärken kann.

    Zwar helfen Fakten gegen u?berschwemmende Gefu?hle von Kontrollverlust und Hilflosigkeit, denn seriöse und klare Informationen geben Orientierung und Sicherheit. Jedoch kann ununterbrochener Medienkonsum u?berfordern, indem immer wieder bestimmte Bilder und Schilderungen wiederholt werden. Zudem sind auch einige Falschinformationen im Umlauf. Deshalb ist es wichtig, den Bezug zur Realität nicht zu verlieren. Im Grunde reicht dafu?r ein tägliches Update aus einer verlässlichen Quelle aus, um angemessen auf dem Laufenden zu bleiben.
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  • Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte u?ber die Distanz!
    Verbundenheit mit der Familie oder dem Freundeskreis gibt Halt. Auch regelmäßige Treffen mit Kolleginnen und Kollegen per Chat oder Videokonferenz können nett und motivierend sein. Bleiben Sie also in Verbindung, auch wenn Sie sich nicht von Angesicht zu Angesicht nahe sein sollen. Nutzen Sie dazu Telefon, Videochats, soziale Netzwerke & Co. Und scheuen Sie sich nicht, Unterstu?tzung zu suchen, wenn Sie welche benötigen – die allermeisten Mitmenschen helfen gerne!

    Halten Sie sich bei Ihren sozialen Kontakten von Panikmachern fern! Wenn Sie das Gefu?hl haben, dass bestimmte Kontakte immer wieder Covid-19 bezogene Informationen wiederholen und dies Ihnen ein ungutes Gefu?hl gibt, setzen Sie Grenzen und verzichten Sie auch darauf, die nicht persönlichen, massenweise kursierenden SMS, E-Mails, Videos, WhatsApp-Nachrichten und Meldungen auf sozialen Medien zur Pandemie zu lesen. Vielleicht ist es Ihnen stattdessen möglich, sich auch gemeinsame positive Inhalte zu fokussieren, etwa „Was hat dich heute gefreut?“ oder „Wofu?r bist du dankbar?“.

    Und: Denken Sie auch an entferntere Verwandte, Nachbarn und Bekannte, die möglicherweise kein soziales Netzwerk haben und kontaktieren Sie auch diese, damit sie sich nicht vergessen fu?hlen und gegebenenfalls Hilfebedarf äußern können!


  • Besinnen Sie sich auf Ihre Stärken!

    Ressourcen helfen, Krisensituationen durchzustehen. Innere Ressourcen sind alles, was Sie an positiven Erfahrungen in Ihrem Leben gemacht haben, alle Probleme die Sie schon u?berwunden und gelöst haben, Ihre Stärken und Talente, Ziele und Werte. Ressourcen sind Kraftquellen. Aktivieren und nutzen Sie diese – und haben Sie dabei auch neue Freiräume, Spielräume, Ruhe und Entschleunigung in den eigenen vier Wänden im Blick, die einen wohltuenden Nebeneffekt der zwangsweisen Auszeit, denen viele von uns ausgesetzt sind darstellen.
    Das kann beispielsweise sein, sich dem Hobby zu widmen, kreativ tätig zu sein. Auch hier gilt:
    Sie mu?ssen das nicht in der Zeit, die Sie zuhause verbleiben, perfektionieren. Manche Tage wird es Ihnen besser gelingen, Ihre Ressourcen zu nutzen, an anderen Tagen finden Sie vielleicht nur schwer Zugang. Auch das ist kein Grund zu Besorgnis und bedeutet nicht, dass Sie mit der Situation nicht gut umgehen können.


  • Geben Sie Ihren Gefu?hlen Raum!

    Wir alle haben unterschiedlichste Gefu?hle in dieser ungewohnten Situation, z.B. Verwirrung, Angst oder Stresserleben. Diese Gefu?hle sind absolut verständlich. Beachten Sie diese und versuchen Sie, Ihre Gefu?hle zu akzeptieren: Unfreiwillig in häuslicher Quarantäne zu sein, kann verschiedene emotionale Reaktionen hervorrufen. Es kann helfen, in solch gefu?hlsbestimmten Zeiten keine gravierenden Entscheidungen zu treffen, etwa u?ber einen neuen Arbeitsplatz oder die Beendigung einer Beziehung.

    Nehmen Sie sich Zeit, um wahrzunehmen und auszudru?cken, was Sie fu?hlen. Manche Menschen schreiben ihre Gefu?hle gerne nieder oder werden kreativ (z.B. malen, musizieren oder meditieren). Häufig hilft es schon, die Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten – wie wu?rde eine nahestehende Person damit umgehen?

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Sprechen Sie u?ber Ihre Gefu?hle, zum Beispiel mit einer hilfreichen Bezugsperson. Sollte diese im näheren Umfeld nicht vorhanden sein, holen Sie sich professionelle Hilfe, z.B. bei Krisendienst, Notfallseelsorge, lokalen und u?berregionalen Hotlines, die derzeit eingerichtet werden. Vermeiden Sie ungesunde Strategien der Gefu?hlsregulation – zum Beispiel schädlichen Gebrauch von Alkohol und Drogen!

  • Begrenzen Sie das Gru?beln!

    Über etwas intensiv nachzudenken ist eine von vielen Strategien im Umgang mit Stresssituationen. Ein Zuviel an Gru?beln ist jedoch oft kontraproduktiv, da es zusätzlichen Stress verursachen kann. Überlegen Sie sich daher schon im Vorhinein Tätigkeiten, die Sie ausfu?hren können, sollten Sie ins Gru?beln verfallen. Machen Sie etwas ganz anderes, das Ihnen guttut. Manche Menschen backen, lesen oder schreiben beispielsweise gerne. Auch Humor ist in ernsten und sorgenvollen Zeiten nicht nur erlaubt, sondern geradezu erwu?nscht.

    Übrigens ist es eine hilfreiche Strategie, das Gru?beln zu verschieben und auf selbst festgelegte Gru?belzeiten zu begrenzen! Nehmen Sie sich vorab festgelegt am Tag 10-20 Minuten Zeit, in der Sie so viel Gru?beln können wie Sie möchten. Wenn außerhalb dieser Zeiten Sorgen auftauchen, sagen Sie zu sich selbst: „Daru?ber denke ich nachher (oder morgen) in meiner Gru?belzeit nach – aber nicht jetzt.“ Wenn man das regelmäßig u?bt, dann automatisiert man diesen gedanklichen Prozess und kann sich große Entlastung schaffen. Solche Gru?belzeiten sollten u?brigens nicht auf den Abend oder die Nacht gelegt werden.


  • Fu?hren Sie einfache Entspannungs- und Achtsamkeitsu?bungen durch!

    Angst und Entspannung kann nicht gleichzeitig passieren. Daher machen Sie Entspannungsu?bungen, diese reduzieren Ängste und können helfen, achtsam und akzeptierend mit der einengenden Situation umzugehen. Auch im Internet finden Sie Anleitungen fu?r Entspannungsu?bungen.

    Beispiel: Eine einfache Übung ist, zu bemerken, wo man gerade sitzt und den Kontakt zur Sitzfläche wahrzunehmen. Vielleicht gelingt es Ihnen, kurz die Augen zu schließen und zu spu?ren, ob Sie im Körper Spannungen wahrnehmen. Stellen Sie sich vor, es verläuft ein Faden entlang Ihrer Wirbelsäule, der Sie aufrichtet. Nun können Sie sich auf Ihren Atem konzentrieren: wie langsam oder schnell ist dieser? Wo spu?ren Sie ihn am stärksten – in der Bauchregion, beim Einfließen der Luft in die Nase? Versuchen Sie, einem Atemzug von Beginn des Einatmens bis zum Ausatmen zu folgen. Es geht nicht darum, den Atem in irgendeiner Form zu verändern – er ist so, wie er ist, absolut in Ordnung. Es geht nur darum, ihn wahrzunehmen. Sollten Gedanken auftauchen, versuchen Sie, Ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Atem zu lenken. Sie können mit einer Minute beginnen und diese Übung so oft Sie mögen wiederholen.


  • Bewegen Sie sich!

    Bleiben Sie nicht nur mental, sondern auch körperlich aktiv. Bewegung bewirkt Wunder im Kopf und wirkt sich, wissenschaftlich nachgewiesen, positiv auf unsere Psyche aus. Sport ist auch auf engem Raum möglich: Videos im Internet liefern Anregungen und Trainingsprogramme. Viele Anbieter von Trainingsstudios machen ihre Angebote nun auch online verfu?gbar. Auch hier gilt: sicherlich ist es nicht einfach, die gewohnte Routine in den nun veränderten Alltag zu integrieren. Möglicherweise mu?ssen Sie etwas daran ändern, wie Sie gewohnt sind, Sport zu treiben. Trotzdem ändert dies nichts an den positiven Effekten von Bewegung auf Ihre körperliche und mentale Gesundheit.



  • Bei alledem: Denken Sie daran, dass die Situation voru?bergehen wird!

    Es ist es wichtig zu verstehen, dass die aktuelle Pandemie unweigerlich irgendwann voru?bergehen wird. Auf die derzeitigen Gefahren, Ängste und Sicherheitsmaßnahmen werden mit Sicherheit auch wieder Entwarnung, Neubesinnung und Normalisierung folgen. Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Welt wegen Covid-19 oder der daraus erwachsenden Probleme untergeht.

    Manches hilft, diesen Prozess der Normalisierung zu beschleunigen – hierzu zählen „(…) schonungslose Transparenz, besonnene und entschlossene Entscheidungskonsequenz, diszipliniertes Durchhaltevermögen aller, Offenheit fu?r neue Perspektiven wie die Wiederentdeckung solidarischer Werte und das Bewusstsein, in einer globalen Schicksalsgemeinschaft gemeinsam bestehen zu können.“

    Unterschätzen Sie nicht die einfachen und bekannten effektiven Möglichkeiten, um Ihr Erkrankungsrisiko jetzt zu vermindern und die Infektion zu verlangsamen (z.B. durch regelmäßiges Händewaschen und Vermeiden von engem zwischenmenschlichem Kontakt). Planen Sie aber auch Aktivitäten, die Sie nach dem Überstehen der jetzigen Situation ausfu?hren möchten!


Besondere Maßnahmen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen
Isolation ist eine Belastung. Das oberste Ziel in der Isolation ist daher, diese Zeit möglichst stressfrei zu bewältigen (nicht nur fu?r die Kinder, sondern auch fu?r die Erwachsenen). Die Isolation ist nicht dazu da, die Familie besser zu machen. Die Erziehung der Kinder oder die Konfliktbewältigung mit dem Partner sollen in dieser Zeit nicht im Fokus stehen.

• Halten Sie die gewohnte Tagesstruktur ein.

• Planen Sie klare Lern- und Freizeiten. Bieten Sie Ihrem Kind die Möglichkeit, sich auch mental zu betätigen, z.B. durch Lesen, Schreiben oder Knobelaufgaben.

• Definieren Sie klar abgegrenzte Stunden, in denen sich jede/r alleine beschäftigt.

• Machen Sie gemeinsame Aktivitäten.

• Ermöglichen Sie Ru?ckzugsmöglichkeiten, um Konflikte zu verhindern bzw. zu reduzieren.

• Auch wenn es keinen adäquaten Ersatz fu?r den Spielplatz oder das Spielen im Freien gibt: Ermöglichen Sie Ihrem Kind körperliche Betätigung im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten.
• Eine gesunde Ernährung ist immer wichtig, gerade jetzt.

• Erarbeiten Sie gemeinsame Regeln, wie die gewonnene Zeit bestmöglich genu?tzt werden kann.

• Limitieren Sie mit dem Kind gemeinsam die „Screen-Zeiten“ fu?r Fernsehen, Mobiltelefon oder Computer.

• Erklären Sie Ihrem Kind in altersgerechten Worten die aktuelle Situation. Wenn Ihr Kind Fragen stellt, beantworten Sie diese ehrlich. Sagen Sie offen, wenn Sie etwas selbst nicht wissen. Sie können dann gemeinsam u?berlegen, wer Ihnen die gewu?nschte Antwort geben kann.

• Kinder haben ein anderes Zeiterleben als Erwachsene. Malen Sie z.B. einen Kalender und streichen Sie – ähnlich einem Adventskalender – jeden Tag der Quarantäne ab, sodass die Zeitspanne fu?r Ihr Kind greifbarer wird.

• Akzeptieren Sie, wenn Ihr Kind anhänglicher ist als sonst und kommen Sie diesem Bedu?rfnis Ihres Kindes nach. Es braucht gerade jetzt Sicherheit und Geborgenheit.

• Verzichten Sie darauf, gerade jetzt große Erziehungsmaßnahmen zu setzen und sehen Sie möglichst von Strafen ab. Versuchen Sie ihr Kind durch Lob positiv zu verstärken und zu erwu?nschtem Verhalten zu motivieren.

• Bewahren Sie sich eine positive Grundhaltung: Dies kann sich auch auf Ihr Kind u?bertragen und vermittelt Zuversicht und Sicherheit.


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Maßnahmen gegen das Auftreten von Konflikten
Auf engen räumlichen Verhältnissen entsteht sogenannter „Dichtestress“. „Unter Lagerkoller einzelner oder mehrerer Personen versteht man umgangssprachlich einen voru?bergehenden psychischen Erregungszustand bei zwangsweiser Lagerunterbringung, wie er vor allem in Gefängnissen, Kasernen, Kriegsgefangenenlagern, Deportierungslagern, Flu?chtlingslagern, Notunterku?nften und Katastrophenschutzlagern bei anhaltend belastenden und unabsehbar lange andauernden Bedingungen vorkommt.

„Koller“ (althochdeutsch kolero = „Wut“ von mittellateinisch cholera = „Zornausbruch“, vgl. auch Choleriker) ist eine volkstu?mliche Eindeutschung und bezeichnet eine plötzlich aufbrechende oder stille, schwere psychologische Erregung, die sich aus einer Umgebung oder Situation ableiten lassen. Er äußert sich bei einzelnen Personen in Angst, Wut, Verzweiflung, Überaktivität sowie depressiven Zuständen.“

Die jetzigen Quarantänemaßnahmen in Deutschland lassen sich zwar nicht mit Zwangsinhaftierung vergleichen. Dennoch kann man die in der psychologischen Forschung zu Extremsituationen gewonnenen Erkenntnisse nutzen, um uns den Umgang mit der aktuellen Situation zu erleichtern. Bereits durch die ungewohnt viele gemeinsame Zeit können Konflikte in der Partnerschaft oder im Familienleben entstehen. All dies kann sich in Streit bis hin zu Gewalthandlungen entladen. Folgende Maßnahme sind hier präventiv hilfreich:

• Definieren Sie klar abgegrenzte Stunden, die jede/r fu?r sich allein verbringt.

• Ermöglichen Sie allen Familienmitgliedern Ru?ckzugsmöglichkeiten. Machen Sie alleine einen Spaziergang um den Häuserblock oder durch den Wald.

• Sprechen Sie Ärger an, noch bevor die Situation eskaliert. Kurzfristige Konflikte wird es bei jedem immer wieder mal geben – wichtig ist, dass diese gelöst werden.

• Machen Sie einen täglichen Familien-Mini-Krisenstab oder -Konferenz: Wie geht’s allen Beteiligten, wer braucht was, welche Ideen und Wu?nsche haben die Einzelnen?

• Seien Sie nachsichtiger als sonst, sich selbst und den anderen gegenu?ber! Die derzeitige ungeplante soziale Isolierung mit „Zwangsferien“, die im Grunde gar keine Ferien sind, weil man nicht alles tun kann, was man im Urlaub gerne tut, ist durchaus eine Herausforderung fu?r alle Familien und Freundeskreise.



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Maßnahmen gegen Gewalt
Räumliche Enge, fehlende Ru?ckzugsmöglichkeiten, der Mangel an Intimität kann zu Aggression und Gewalt fu?hren. Steuern Sie einer Eskalation der Situation aktiv und bewusst entgegen. Folgende Möglichkeiten dazu haben Sie:

• Erkennen und benennen Sie Gewalt. Auch bei sich selbst! Gewalt hat viele Formen: Schlagen, Anschreien, Abwerten, längeres Ignorieren... Seien Sie sich selbst gegenu?ber ehrlich und reagieren Sie, wenn Sie merken, dass Sie selbst beginnen, vollkommen u?berfordert und in der Folge gewalttätig werden.

• Telefonieren Sie zur eigenen Entlastung! Telefonieren Sie mit einem Freund/einer Freundin und sei es nur, um mal wieder mit jemand anderem zu sprechen. Wenn möglich, gehen Sie in ein anderes Zimmer. Atmen Sie tief durch.

• Leben Sie Gewalt nicht aus! Negative Emotionen, Anspannung und Aggressionen sind in Ausnahmesituationen normal. Es ist nicht schlimm, jemandem gegenu?ber aggressiven Gefu?hlen zu haben – gefährlich wird es erst, wenn man sie auslebt.

• Wenn Gewalt passiert: Reden Sie! Wenn Sie bemerken, dass andere Erwachsene zuhause gewalttätig werden – gerade gegen Kinder oder Jugendliche –, reden Sie mit ihnen. Vielleicht sind Sie in dieser Situation die einzige Person, die den Schutz des Kindes jetzt herstellen kann. Lassen Sie sich dabei unterstu?tzen: von der Telefonberatung eines Gewaltschutzzentrums, der Männerberatung, eines Kinderschutzzentrums, beim Krisendienst.

• Holen Sie sich Hilfe, wenn Sie von Gewalt betroffen sind! Dasselbe gilt natu?rlich auch, wenn Sie selbst von Gewalt betroffen sind. Hier ist wichtig, dass Sie nicht allein bleiben – denn Sie sind nicht allein, auch wenn es gerade in einer Isolationssituation so erscheinen mag. Holen Sie Hilfe: Bei Freunden, Beratungseinrichtungen, bei der Telefonberatung eines Gewaltschutz- oder Kinderschutzzentrums, bei massiver Gewalt auch bei Polizei oder Kinder- und Jugendhilfe.

• Und vor allem: Holen Sie sich rechtzeitig Hilfe! Warten Sie nicht, bis es zu spät ist. Die vorangestellten Tipps gegen Langeweile, gegen Ängste und Sorgen und vor allem die Tipps gegen Konflikte helfen, mit den unangenehmen Gefu?hlen umzugehen, die in angespannten, oft beengten Situationen entstehen, bevor diese sich in Gewalt entladen.


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Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Sichtweisen zu den Dingen6. Auch wenn politische Entscheidungen zum Beispiel zur Einschränkung unserer Freiheiten kritisch beobachtet gehören und wir bei entsprechenden Fehlentwicklungen selbstverständlich die Stimme erheben sollen – jeder und jede kann selbst dafu?r Verantwortung u?bernehmen, dass die Situation nicht unerträglich wird. Zusammenhalt und Solidarität, Besonnenheit und eine trotz aller Belastungen optimistische Sicht auf die Dinge („positives Framing“) können massiv dazu beitragen, das Ausmaß der Pandemie und ihrer Folgen zu begrenzen.

Wu?nschen wir uns allen dabei viel Erfolg und gutes Durchhaltevermögen!

Diese gesammelten Hinweise weisen uns darauf hin, dass die derzeitige Krise nicht nur eine körperlich-medizinische (und in der Folge auch wirtschaftliche) ist. Auch die Psychologie, die Einstellung und das Verhalten aller, hat einen großen Einfluss darauf, wie wir als Gesellschaft diese zuvor nicht dagewesene Herausforderung bewältigen werden!


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Über den Autor
Der vorliegende Text ist verfu?gbar unter:
https://www.psychologische-hochschule.de/2020/03/jacobi_umgang-mit-quarantaene/

Die Informationen, die Sie in diesem Dokument finden, wurden aus Hinweisen der norwegischen Klinikk for krisepsykologi (https://krisepsykologi.no/how-to-cope-with-quarantine-isolation/ ) und insbesondere in enger Anlehnung an ein Merkblatt des Berufsverbands Österreichischer Psychologinnen und Psychologen (https://www.boep.or.at/psychologische-behandlung/informationen-zum-coronavirus-covid-19 ) mit freundlicher Genehmigung u?bernommen, bearbeitet und ergänzt. Besonderer Dank gilt auch der Mitarbeit von Tanja Jacobi (HU Berlin) und Rebecca Bondu? (PHB).

Frank Jacobi ist Professor fu?r Klinische Psychologie und Psychotherapie (Schwerpunkt Verhaltenstherapie) an der Psychologischen Hochschule Berlin

Mehr Informationen finden Sie auch unter www.phb.de