Fundstücke
Damals habe ich meine Heimat verloren
In der ZeitMagazin-Rubrik "Ich hatte einen Traum" erzählt die 36-jährige Schauspielerin Jördis Triebel von dem Bedürfnis, im Alltagstrubel mit Tagesträumen kurze Auszeiten zu ergattern, von der ständigen Erreichbarkeit und der Trauer, mit dem Ende der DDR eine Heimat verloren zu haben.
Es ist nicht oft zu lesen, dass diese Erfahrung so schmerz- und verlusthaft sein konnte, wie in diesem kurzen Text der Theaterschauspielerin.
Sie sagt dort unter anderem:
"Heutzutage suche ich vor allem nach Ruhe. Ich träume davon, dass sich alles ein wenig langsamer bewegt.
Moderne Kommunikationsmedien, die Erwartung, ständig erreichbar zu sein, zu reagieren und zu funktionieren – all das strengt mich sehr an und überfordert mich immer wieder. Ich fühle mich dann wie eine alte Frau, die sich nach der Zeit zurücksehnt, in der es nur ein Festnetztelefon gab.
In solchen Phasen suche ich Entspannung in meinen Tagträumen. Wenn ein Tag vollgestopft ist mit Terminen und Pflichten, nehme ich mir zwischendurch einige Minuten Zeit, schließe kurz die Augen und denke an etwas Schönes. Dann liege ich auf einer Sommerwiese, rieche die Blumen und höre nichts anderes als die Stimmen der Vögel und das Rauschen der Blätter im Wind. Diese Bilder in meinem Kopf helfen mir abzuschalten. Ich wäre gerne häufiger mit mir allein. Bevor ich Kinder hatte, bin ich oft allein gereist, tagelang durch fremde Orte gelaufen, habe mich treiben lassen, ohne Plan und Ziel.
Ich bin sehr ruhelos. Heimat finde ich nur in mir selbst. Ich lebe mit der tiefen Gewissheit, dass sich alles im Leben von einem Moment auf den nächsten verändern kann, nichts ist sicher.
Diese Haltung hat mit dem Ende der DDR zu tun, in der ich meine Kindheit erlebt hatte. Damals habe ich meine Heimat verloren. Die Wende war für mich als Kind eine schwere Erschütterung, die Ängste geschürt hat.
In der Übergangsphase vom Kind zur jungen Erwachsenen hätte ich Menschen an meiner Seite gebraucht, die mir Halt geben. Aber alle um mich herum waren verunsichert und besorgt wegen der ungewissen Zukunft. Es war Angst um mich herum, das hat mich geprägt.
Noch heute vermisse ich an mir manchmal die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der andere Menschen durch ihr Leben gehen. Ich träume davon, unbeschwerter zu sein, vielleicht naiver."
Aufgezeichnet von Jörg Bockem und nachzulesen in der Ausgabe des ZeitMagazins vom 22. Mai 2014 auf Seite 34 und 35.